"Hilfreiches politisches Patt"
Politik im Fokus
Im schwierigen Börsenjahr 2022 war es bisher nicht an der Zeit, ausführlich über rein politische Einflussfaktoren zu diskutieren. Zu dominant waren die Problemstellungen bezüglich Inflation, Zinserhöhungen und Energie. Richtung Jahresende wird der Blick jedoch etwas freier und mit den US-Zwischenwahlen steht ein Ereignis unmittelbar bevor, welches den Aktienmärkten Rückenwind verleihen kann.
Grundsätzlich haben Aktienmärkte keine Präferenz für eine bestimmte politische Partei. Historisch betrachtet haben sie sich gerade auf der US-Seite nicht wirklich davon beeindrucken lassen, ob der US-Präsident den Demokraten oder den Republikanern zugehörig ist. Aktienmärkte bevorzugen allerdings politische Pattsituationen. Geringes legislatives Risiko verringert die Unsicherheit und die trübe Stimmung, die sich im Zusammenhang mit möglichen Umverteilungen einstellt. Zudem erhalten Unternehmen langfristige Planungssicherheit, wenn die Politik tendenziell die Füße stillhält.
Verstärktes Patt voraus
Im Rahmen der anstehenden US-Zwischenwahlen stehen die Chancen gut, dass die Republikaner ihre Position im US-Kongress verbessern können. Traditionell verliert die Partei des US-Präsidenten bei den Zwischenwahlen Sitze im Repräsentantenhaus, bei Präsidenten mit unterdurchschnittlicher Zustimmung – zu denen der aktuelle Präsident Joe Biden zählt – sind es in der Nachkriegszeit durchschnittlich 38 Sitze. Zu Beginn dieser Legislaturperiode verfügten die Demokraten im Repräsentantenhaus nur über einen historisch geringen Vorsprung von zehn Sitzen. Im Senat müssten die Republikaner netto sogar nur einen Sitz hinzugewinnen, um die Kontrolle zu erlangen - die Kandidatenstruktur spricht im Detail allerdings dafür, dass es die Republikaner im Repräsentantenhaus insgesamt einfacher haben, die Kräfteverhältnisse zu ihren Gunsten zu verschieben. Am Ende genügt es, wenn die Gegenpartei zum US-Präsidenten in einer Kammer die Mehrheit erreicht, um eine politische Pattsituation zu erzeugen. In diesem Fall kann man von einem „verstärkten“ politischen Patt sprechen, denn die ersten beiden Amtsjahre von Joe Biden haben bereits eindrucksvoll gezeigt, dass eine hauchdünne Mehrheit vorwiegend zu verwässerten Kompromisslösungen führt.
Gelähmte Politik auch außerhalb der USA
Viele weitere führende Industrienationen fügen sich in das übergeordnete Bild der gelähmten Politik ein. In Großbritannien ist die Politik vor allem mit sich selbst beschäftigt, das kurze Intermezzo von Liz Truss als britische Premierministerin verdeutlicht die heterogene Stimmungslage. In Deutschland ringt die Ampelkoalition um eine gemeinsame Linie und sieht sich einer starken Opposition gegenüber, in Italien regiert weiterhin die Unbeständigkeit. Ministerpräsidentin Meloni führt das mittlerweile achte Regierungskabinett in den letzten zehn Jahren an. Selbstverständlich werden diese Konstellationen auch für Unruhe sorgen und die Aktienmärkte werden Phasen mit erhöhter Unsicherheit mit der üblichen Volatilität quittieren – und doch ist die daraus resultierende politische Pattsituation in zahlreichen Ländern ein positiver Einflussfaktor.
Fazit
Im Jahr 2022 mussten die Aktienmärkte bisher einiges einstecken. Die eingeschränkte politische Handlungsfähigkeit auf internationaler Ebene ist deshalb insbesondere ein wichtiger Einflussfaktor, welcher positiv überraschen kann. Die Chancen stehen gut, dass mit den US-Zwischenwahlen ein bedeutender Schritt erfolgt, der die Erholungsbewegung der Märkte unterstützt.