"Europa mit Handicap"

Relative Schwäche im Bullenmarkt

Wie man den laufenden Bullenmarkt wahrnimmt, hängt stark von der Perspektive ab. Betrachtet man die US-Aktienindizes, zeigt sich die kräftige Aufwärtsdynamik in voller Blüte. Die europäischen Aktienmärkte hinken dagegen seit geraumer Zeit hinterher. Auch wenn sich der Leitindex EuroStoxx 50 seit März 2009 redlich bemüht, so befindet man sich immer noch auf dem Kursniveau, das bereits zum Ende der 90er Jahre erreicht wurde. Über diesen langen Zeitraum sind die üppigen Dividenden sicherlich nicht zu verachten, gegen die US-Pendants war aus europäischer Sicht allerdings kein Kraut gewachsen.

Strukturbedingte Nachteile

Die Ursachen für diese relative Schwäche in Europa sind vielfältig. Seit dem Jahr 2011, im Epizentrum der Euro-Krise, hat Europa mit unzähligen komplexen und regionalen politischen Problemstellungen zu kämpfen. Dazu gesellt sich auch die Tatsache, dass der laufende Bullenmarkt vor allem durch die dynamische Entwicklung im Technologiesektor geprägt war. Ein Blick auf das Zahlenwerk offenbart die deutlichen Unterschiede: Im MSCI USA Index beträgt der Technologieanteil 21,7 Prozent, im MSCI Europe Index nur 5,8 Prozent. Noch größer fällt die Differenz aus, wenn man den relativ neuen Sektor „Communication Services“ mit berücksichtigt, der Großkonzerne wie Alphabet und Netflix umfasst. Die Gewichtung in den USA beträgt hier 10,4 Prozent, in Europa nur 4,8 Prozent. Man kann durchaus von strukturbedingten Nachteilen in der Unternehmenslandschaft sprechen, wenn man den Technologiesektor als tragendes Element für die Performance im laufenden Bullenmarkt identifiziert.

Ein dauerhaftes Handicap?

Auf der einen Seite spricht die aktuelle Standortbestimmung weiterhin für den Technologiesektor als zu bevorzugenden Schwerpunkt für Aktieninvestments. Im reifen Zyklus investieren Unternehmen angesichts steigender Löhne in effiziente Technologie-Lösungen, zudem ist die ausgeprägte Mega-Cap-Eigenschaft des Sektors im reifen Bullenmarkt vorteilhaft. Auf der anderen Seite sollte man natürlich nicht den üblichen Fehler begehen und die Performance der Vergangenheit als Gradmesser für die Entwicklung der nahen Zukunft heranziehen. Die These, dass die Führungsrolle zwischen den USA und Europa wechseln könnte, ist keinesfalls substanzlos: Europa profitiert von der skeptischen Erwartungshaltung mit einer dementsprechend niedrigen Bewertung. Die Zinsstrukturkurve ist im relativen Vergleich steiler und die Kreditvergabe wächst dynamisch. Nicht nur deshalb wäre es falsch, Europa aufgrund der holprigen Vorgeschichte abzuschreiben. Anlegern kommt es am Ende zu Gute, dass sie sich keinesfalls zwischen USA und Europa „entscheiden“ müssen. Ein global aufgestelltes Portfolio mit sorgfältig gewählten Gewichtungen erleichtert das Risikomanagement entscheidend.

Fazit

Es kommt auf die gesunde Mischung im Portfolio an! Europa wird unterschätzt und bietet Anlegern langfristige Chancen, ungerechtfertigt gesetzte Schwerpunkte gilt es aber generell zu vermeiden. Deutsche Anleger als Paradebeispiel: Wer Aktien kauft, investiert in der Regel große Teile des Portfolios in DAX, MDAX und Co. - das bleibt nicht ohne Risiko. Und doch wäre ein breiterer Zuspruch für deutsche Aktien wünschenswert. So muss man nicht weiter mit ansehen, wie der Anteil ausländischer Investoren am DAX sukzessive ansteigt, mittlerweile auf 55 Prozent. Damit fließt die Mehrheit der Dividenden, die international aufgestellte DAX-Konzerne ausschütten, an den Händen der deutschen Anleger vorbei, die sich im Niedrigzinsumfeld nach laufenden Erträgen in vernünftiger Höhe sehnen.

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