"Aktien lassen sich von Zinsen nicht aufhalten"

Hohe Zinssätze als Bremsklotz?

Die Angst der Aktienanleger vor langanhaltenden, erhöhten Zinssätzen hält sich hartnäckig, obwohl die Aktienmärkte seit Oktober 2022 eindrucksvoll belegen, dass die derzeitige Zinsentwicklung nicht schädlich für sie sind. Auch der Blick in die längere Historie offenbart, dass die Annahme „steigende Zinsen verursachen fallende Aktienmärkte“ in der Praxis nicht wirklich funktioniert.

Neben dem aktuellen Zyklus gab es in den letzten 70 Jahren immer wieder ausgedehnte Zeiträume im marktbreiten US-Aktienindex S&P 500, in denen die Aktienmärkte parallel zu den Zinsen angestiegen sind. Zwischen den Jahren 1954 und 1983 war dies in jedem Bullenmarkt der Fall. Auch in der jüngeren Historie finden sich derartige Zeiträume, beispielsweise von 2004 bis 2006 oder von 2015 bis 2019. Der lange Bullenmarkt von 2009 bis 2020 und der kurze Bullenmarkt von 2020 bis 2022 zeichneten sich durch insgesamt niedrige Zinssätze aus, waren aber nicht die Ursache für den Aufschwung der Aktienmärkte. Und was die zusätzliche Behauptung angeht, dass höhere Zinssätze insbesondere für Wachstumswerte Gift wären, so finden sich in den historischen Daten ebenso anschauliche Gegenbeispiele. Die angeblich „straffere“ Geldpolitik der Fed konnte die Outperformance des Technologiesektors im S&P 500 beispielsweise in den Jahren 1994 bis 1995 oder 2015 bis 2019 nicht verhindern.

Differenziert betrachten

Natürlich können mit steigenden Zinsen auch negative Effekte einhergehen. Sie können sich unverhältnismäßig stark auf zinssensitive Sektoren wie Immobilien auswirken, welcher seit Jahresbeginn 3,4 Prozent verloren hat und damit der einzige Sektor im S&P 500 mit negativen Renditen ist. Dagegen sind die Unternehmen im Tech-Sektor mit sehr liquiden Bilanzen ausgestattet, was den Sektor relativ immun gegen Zinsbewegungen macht, nicht überproportional verwundbar. Außerdem sind große Tech-Unternehmen zunehmend im Hier und Jetzt profitabel - und nicht nur in der fernen Zukunft.

Überraschungen sind entscheidend

Dies bringt uns zum Hauptgrund, warum hohe und/oder steigende Zinsen für Aktienanleger nicht angsteinflößend wirken sollten. Aktienmärkte bewegen sich nicht aufgrund der Zinsen, sondern aufgrund von Überraschungen. Ende 2022 und Anfang 2023 hatten die Märkte die weit verbreitete Furcht vor den Auswirkungen steigender Zinsen bereits eingepreist. Viele gingen so weit, dass sie eine Wiederholung der 1970er Jahre erwarteten. Die Angst ging zu weit, drückte die Erwartungen - und machte positive Überraschungen leichter möglich. Die Zinssätze stiegen nie in den mittleren Zehnerbereich wie damals, sondern bewegten sich stattdessen auf einem historisch vergleichsweise moderaten Niveau.

Fazit

Hohe Zinsen werden grundsätzlich negativ für die Aktienmärkte wahrgenommen, die Ängste sind allerdings tendenziell ungerechtfertigt. Darüber hinaus sollten die positiven Effekte höherer Zinsen nicht komplett verneint werden. Erstens werden die Sparer durch die Zinserträge in dem Maße belohnt, wie die Banken sie weitergeben. Zweitens trägt die höhere Messlatte für Kreditnehmer dazu bei, spekulative Unternehmungen auszusortieren, bei denen es unwahrscheinlich ist, dass sie auf lange Sicht Gewinne abwerfen. In dem Maße, in dem dadurch Kapital in rentablere Projekte gelenkt wird, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sich in der Wirtschaft Exzesse bilden und die Expansion verlängert wird. Und drittens wird durch höhere Zinsen die Experimentierfreudigkeit der Zentralbanken eingeschränkt, was für die Aktienmärkte grundsätzlich vorteilhaft ist.

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