Böses Erwachen!

Eine kuriose Situation spitzt sich zu.

Die Entwicklungen der letzten Monate bringen mich zum Staunen. Die Investoren splitten sich zunehmend in zwei Lager: Während wir auf der einen Seite extrem viele Anfragen von Interessenten bekommen, erhalte ich parallel dazu viele eMails, die mich vor dem drohenden Weltuntergang und einem neuerlichen Börsencrash warnen. Mein bullisher Ausblick sei "realitätsfremd", wird mir oft vorgeworfen. Ok. So weit, so gut. Betrachten wir uns das einmal näher. Welche Ursachen führen zu diesem Phänomen?

Wer nicht warnt ist dumm

Die Warnungen häufen sich drastisch. Ich habe in den letzten 20 Jahren noch niemals eine Situation wie heute erlebt, in der mit ständig steigenden Kursen, die meisten Investoren immer nervöser werden. Dies hat mehrere Gründe: Viele Anleger haben ihr persönliches Börsentrauma der Jahre 2000 bis 2002 noch nicht wirklich verarbeitet. Investmentbanker, Analysten und auch viele sonstige Berater schließe ich hierbei ausdrücklich mit ein. "Nie wieder wird mir so etwas passieren" höre ich sehr oft in Gesprächen mit Interessenten. Die Angst vor einem erneuten Kursdebakel sitzt immer noch tief. Dies hat jedoch fatale Folgen für das weitere Vorgehen in Ihren strategischen Investitionsentscheidungen. Sie treffen ausschließlich emotionale Entscheidungen. Während im Zeitraum zwischen Sommer 2002 und Frühjahr 2003 viele Investoren kapituliert haben und sich grundsätzlich aus den Aktienmärkten verabschiedet haben, war damals eine These eindeutiger Marktkonsens: Nie wieder Aktien, damit ist in den nächsten Jahren kein Geld mehr zu verdienen. (Sie kennen dazu bereits meine Meinung: Ein überwiegender Marktkonsens ist immer gefährlich). Kurioserweise haben jedoch viele Anleger damals überhaupt nicht bemerkt, dass sie zum Marktkonsens gehört haben und fühlten sich viel mehr als gut aufgeklärte Realisten, die ja schließlich aus ihren Fehlern gelernt hätten. Man kann sich nun trefflich über diesen "Lerneffekt" streiten. Was haben denn die meisten Investoren vermeintlich gelernt? Alle Positionen mit engen Stopp-Loss abzusichern und immer in jeder Korrektur aus fast allen Investments ausgestoppt zu werden? Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die berühmte und unsinnige Börsenampel, die immer in Korrekturen auf "rot" umspringt und bei neuen zyklischen Hochs wieder "grün" wird. "Buy high, sell low". Ist das vernünftig? Garantieprodukte und Rentenfonds hatten genau in diesem Zeitraum seit März 2003 Hochkonjunktur, in dem die Aktienmärkte hervorragende Renditen einbrachten. Während fast alle Analysten und Kommentatoren für die kommenden Jahre nur unterdurchschnittliche Renditen erwarteten, haben wir oft auf einen simplen, statistischen Zusammenhang hingewiesen: Nach drei unterdurchschnittlichen Aktienjahren (2000 bis 2002), folgen in den nächsten fünf bzw. zehn Jahren überdurchschnittliche Aktienjahre. "Nein, nein, Herr Grüner, das wird diesmal nicht so sein", hörte ich oft im Anschluss nach diversen Vorträgen und Gesprächen. Und? Was ist passiert? Die Aktienmärkte befinden sich seit Frühjahr 2003 in einem neuen Bullenmarkt, dem bis heute immer noch viele Investoren misstrauen.

Lernen - aber was?

Ich halte es für äußerst bedenklich, dass viele Anleger aus ihren Fehlern fast überhaupt nichts gelernt haben. Oft wurde sogar das "gelernt", was eher unvernünftig ist. Was befindet sich denn heute in den Depots vieler Privatanleger? Garantieprodukte, alle möglichen komplizierten und auch mit hohen versteckten Gebühren behaftete Zertifikate, Rohstoffwerte in allen möglichen Ausgestaltungen und kleine, meist sehr spekulative Aktien aus den Emerging Markets. Viele - für sich selbst genommen - riskante Werte, werden zu einer angeblichen "Strategie" verknüpft. Die Risiken, die viele Anleger damit eingehen, sind erheblich. Schlimmer noch: Die Risiken sind gerade deshalb so erheblich, weil man sich diese nicht bewusst macht und sie gar nicht wahrnimmt. Die Anleger sind tief gespalten. Während die eine Hälfte viel zu defensiv agiert und noch immer einen Großteil ihrer liquiden Vermögen in Anleihen und Festgeldern geparkt haben, ist die andere Hälfte viel zu spekulativ orientiert. Nur sehr selten wird eine ausgewogene Strategie verfolgt. Risiken werden meist ausgeblendet. Eine üble Konstellation!

Fazit

Das böse Erwachen ist bereits vorprogrammiert. Werfen Sie mal einen nüchternen Blick in Ihr Depot und prüfen Ihre Positionen sorgfältig nach. Sind Ihre Risiken sorgfältig verteilt oder gehören Sie auch zu denen, die viel zu einseitig in bestimmten Bereichen investiert sind?

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