Traumatisierte Investoren!
Ein kurioses Phänomen greift immer weiter um sich.
In den letzten Tagen geschahen seltsame Dinge. Wir haben uns nur geringfügig von den Mehrjahreshochs entfernt und ich lese fast nur noch negative Kommentare. Alle meinen, noch schnell eine Warnung abgeben zu müssen und vor bevorstehenden Einbrüchen zu warnen. Auch nach drei Jahren Bullenmarkt gilt es noch immer als intellektuell, ein Bär zu sein und die Aktienmärkte zu meiden. Ist das vernünftig oder ein eher emotionales Vorgehen - geprägt vom Börsentrauma der Jahre 2000 bis 2002?
Lesen Sie zum Thema auch diesen Beitrag: "Die Angst wächst!" vom 08.03.2006.
Das Trauma wirkt noch nach
Erinnern Sie sich an die Situation im Oktober 2002? Die Märkte brachen ein und viele Anleger kapitulierten. Der MSCI-World markierte genau in dieser Situation seinen Tiefpunkt des Bärenmarktes. Fast alle Investoren, private und auch institutionelle Anleger, Investmentbanken und Versicherungen reduzierten in diesen Wochen ihre Aktienquoten, die sie nahe am Hochpunkt der Euphorie - im Frühjahr 2000 - erhöht hatten. Ich veröffentlichte Mitte Oktober 2002 meine erste umfangreiche Studie unter dem Titel "buy low -sell high", in der ich den globalen Bärenmarkt für beendet erklärte. Sehr gerne werfen mir unsere Kritiker vor, wir wären Permabullen und immer optimistisch für die Märkte. Sie verfolgen meine Beiträge schon länger. Das ist natürlich nicht richtig. Wir beobachten die Märkte sehr aufmerksam und wechseln ggf. die Seiten. Aufmerksam suchen wir nach Faktoren, die uns eine defensivere Anlagestrategie signalisieren. Lesen Sie zum Beispiel einfach mal die Aussagen meines amerikanischen Freundes und Kooperationspartners Ken Fisher vom Frühjahr 2001 nach. Unsere damaligen Kursziele hielten viele Anleger für utopisch:
Erstaunliche Lernresistenz
Man könnte meinen, die Anleger hätten aus dieser Situation und ihren Erfahrungen etwas gelernt und ihre Strategie einer Prüfung unterzogen bzw. ihr eigenes - oft stark emotional geprägtes - Handeln kritisch und schonungslos hinterfragt. Meine klare Meinung: Eine Fehleranalyse fand überwiegend nicht statt. Es wurden sicher Schlüsse aus den Erfahrungen der Jahre 2000 bis 2002 gezogen. Aber: Das Gegenteil einer vernünftigen Handlungsweise hat sich in den Köpfen vieler Investoren breit gemacht. Seit den Tiefs im Oktober 2002 und im März 2003 fuhren und fahren viele Investoren eine viel zu defensive Strategie. Während Aktien immer noch sehr günstig sind, ist die Aktienquote vieler Anleger auch heute noch unterdurchschnittlich. Die Stimmung ist weiter von extremer Nervosität und Unsicherheit geprägt. Ohne die Erfahrungen der Jahre 2000 bis 2002 sähe die Bewertung der heutigen Situation sicher anders aus. Der "emotionale Filter" vernebelt vielen Investoren einen klaren Blick.
Orientierungslosigkeit durch eine fehlende Strategie
Die Wurzeln dieser Problematik liegen fast immer in einer fehlenden Strategie begründet. Fast alle Depots von Investoren, die wir zum Depotcheck eingereicht bekommen, sind wahllos zusammengestellt. Auf meine Frage, welche Strategie denn verfolgt wird oder nach welchen Kriterien die Wertpapiere ausgewählt wurden, bleibt eine Antwort fast immer aus. Die einzelnen Depotpositionen werden willkürlich geordert und eine Gesamtstrategie wird "vergessen". Einzelne Positionen werden oft viel zu hoch gewichtet. Eine sinnvolle Diversifikation bleibt großteils aus. Dies führt zu großen Risiken und einer langfristig unterdurchschnittlichen Entwicklung, denen sich die meisten Anleger nicht bewusst sind.
Zu kurzfristige Ausrichtung
Wertpapieranlagen sollten grundsätzlich Bestandteil einer mittel- bis langfristig ausgerichteten Strategie sein. In der Realität sieht das jedoch oft so aus, dass bereits geringfügige Schwankungen die Anleger nervös machen und zu Kurzschlussreaktionen verleiten. Aktienmärkte sind volatil und werden auch volatil bleiben. Kurioserweise sind gerade in der jetzigen - durch eine historisch außerordentlich geringe Volatilität gekennzeichneten - Börsenphase, die Investoren unglaublich nervös. Fast täglich werden die Depots überprüft und Wochenbilanzen erstellt. Ich halte dies für wenig sinnvoll. Kennen Sie jemanden, der wöchentlich ein Wertgutachten seiner privaten Immobilie in Auftrag gibt?
Woher kommt diese Nervosität
Immer wieder höre ich den Satz: " Das passiert mir nicht noch einmal". Die Jahre 2000 bis 2002 sitzen vielen Anlegern in schmerzhafter Erinnerung. Private Investoren verfangen sich jedoch heute immer mehr in einer regelrechten Informationsfalle. Es werden haufenweise Börsenbriefe abonniert, stundenlang in Börsenforen gechattet und Anlegermagazine gewälzt. Fast immer wird hierbei vergessen, nützliche von unsinnigen Informationen zu trennen. Man fühlt sich gut informiert und unterliegt einer Kontrollillusion. Während man alles im Griff zu haben glaubt, neigen viele Investoren zu Verschwörungstheorien und glauben offensichtlich unsinnige Zusammenhänge. Weniger wäre hierbei oft mehr.
Schätzen Sie nüchtern Ihre Fähigkeiten ein
Treffen Sie Ihre Anlageentscheidungen selbst? Besitzen Sie ausreichend praktische Erfahrungen und das nötige, theoretische Hintergrundwissen? Sehr oft stelle ich in Gesprächen mit Interessenten fest, dass Anleger ihre eigenen Fähigkeiten und Kenntnisse krass überschätzen. Psychologen erklären dieses Phänomen eindeutig als menschlichen "Konstruktionsfehler", dem man sich aber nur in den seltensten Fällen bewusst ist. An den Finanzmärkten ist dieses Verhalten besonders extrem ausgeprägt. Anlageentscheidungen zu delegieren fällt vielen Investoren schwer. Sehr oft erlebe ich in meinen Gesprächen, dass Interessenten die Beauftragung einer Vermögensverwaltung für grundsätzlich riskanter halten, als Anlageentscheidungen selbst zu treffen. Meine Erfahrung der letzten Jahre zeigt eindeutig das Gegenteil. Kennen Sie jemanden, der sich beim Flug in den Urlaub mit den Worten "das kann ich doch auch selbst" ins Cockpit setzen würde?
Klare Regeln aufstellen
Sie können diese Fallen nur umgehen, wenn Sie sich neutrale Bewertungsrelationen konstruieren. Aktien gelten heute oft als zu teuer und Kurseinbrüche werden befürchtet. Keiner unserer wichtigen Indikatoren zeigt uns eine allgemeine Überbewertung der Aktienmärkte an. Ganz im Gegenteil: Vor allem im Verhältnis zum Anleihenmarkt sind Aktien historisch außerordentlich günstig. Sinnvolle Alternativen fehlen. Denken Sie, dass die Aktienmärkte unmittelbar vor großen Kursverlusten stehen? Wie begründen Sie das? Sind Aktien zu teuer oder eher günstig? Schätzen Sie Ihre Fähigkeiten sachlich ein? Wie kontrollieren Sie Ihre Entscheidungsfindung? Welche Strategie halten Sie in dieser Börsenphase für sinnvoll? Mich interessiert das sehr. Schreiben Sie mir Ihre Meinung! eMail an: thomas.gruener@gruener-vm.de.