Blicken Sie noch durch?
Die Diskussionen werden zunehmend verworrener.
Der Reformprozess in Deutschland steht zur Diskussion und am Sonntag auch zur Wahl. Obwohl in der Bevölkerung eine übergroße Mehrheit der Meinung ist, dass viele strukturelle Probleme mit Reformen gelöst werden müssen, sind die komplexen Diskussionen um die verschiedenen Steuerkonzepte für viele zu verwirrend. Die Debatten um "Kirchhofs" Steuervision geht weitgehend völlig am Thema vorbei. Der "Professor aus Heidelberg", wie Bundeskanzler Schröder den ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts - und damit höchsten deutschen Richter - seltsam respekt- und stillos nennt, ist für viele zur Reizfigur geworden. Wie ich meine völlig unverschuldet. Sein Konzept ist doch alles andere als neu...
Alles Große ist einfach - die Laffer-Kurve
Der deutschstämmige Amerikaner und Wirtschaftsprofessor Arthur B. Laffer, war einst wirtschaftspolitischer Berater von Präsident Ronald Reagan. Laffer, ein Gründungsmitglied des Economic Policy Advisory Board, argumentiert, dass der Staat überhaupt keine Steuern einnehmen wird, wenn er keine Steuern erhebt (linkes Ende der Kurve), er aber auch keine Einnahmen haben wird, wenn die Steuerquote 100% beträgt, also jeder sein gesamtes Einkommen sofort an den Fiskus überweisen müsste - weil dann niemand mehr arbeiten würde. Zwischen diesen beiden - natürlich theoretischen - Endpunkten, erhebt sich eine gewölbte Kurve der Staatseinnahmen in Abhängigkeit von der Steuerquote. Diese Erkenntnis scheint simpel zu sein, ist aber immerhin einen Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften wert gewesen. Kirchhofs Modell setzt genau hier an. Dieses Phänomen entsteht im Grunde deshalb, weil höhere Steuersätze zu einem Rückgang der volkswirtschaftlichen Aktivität führen. Die Menschen arbeiten weniger oder versuchen, die Steuer zu umgehen. Je nach Theorie gilt als Grenzsteuersatz für diesen "Steuervermeidungs-" oder "Demotivationseffekt" ein Steuersatz zwischen 25% und 35%.
Die berühmteste Serviette der Welt
Während Steuererklärungen bei uns auf den berühmt gewordenen Bierdeckel passen sollen, so hat Arthur Laffer eine Serviette benutzt, auf die er beim Abendessen seine berühmte Kurve kritzelte, die US-Präsident Ronald Reagan veranlasste, die Steuern Anfang der 80er-Jahre deutlich zu senken. Den Spitzensteuersatz drückte Reagan von fast 70 auf 28 Prozent, auch die Steuerlast der Unternehmen sank ? und doch wuchsen die Einnahmen des Staates. Zu Beginn dieser Maßnahme wurde dieses Konzept heftig kritisiert, der "durchgeknallte Cowboy Reagan" würde die finanzpolitische Stabilität der USA ruinieren, hieß es damals. Kommt Ihnen das in diesen Tagen nicht bekannt vor? Fast täglich hören wir das Märchen vom bösen "Professor aus Heidelberg".
USA als Vorbild?
Dass es auch anders geht, beweisen die Vereinigten Staaten. Drei milliardenschwere Steuersenkungen haben die Konjunktur kräftig angeheizt. Viele Volkswirte kritisierten diesen Schritt. Besonders in Europa macht man sich gerne über die "unsolide" Haushaltspolitik der USA lustig. Unsere eigenen strukturellen Defizite werden dabei gerne übersehen, der Bundeshaushalt fliegt Hans Eichel - sogar trotz entlastender, rekordtiefer Zinsen - um die Ohren. Der ?Washington Post? zufolge sind im ersten Halbjahr 2005 die Einnahmen aus der Einkommensteuer in den USA um über 20 Prozent gestiegen. Zudem konnte George W. Bush mehr Unternehmenssteuern verbuchen, obwohl oder gerade weil er die Steuersätze gesenkt hatte. Viele Ökonomen sehen darin eine Bestätigung der Laffer-Theorie. "Wir" machen uns weiter darüber lustig.
Jeder redet mit
Als hochrangiger Beamter in den Ministerien braucht man eine qualifizierte Topp-Ausbildung und ein möglichst gutes Examen. Minister hingegen kann und wird auch offensichtlich jeder. Im Wahlkampf werden die Diskussionen immer abstruser. Der amtierende Finanzminister Eichel - selbst ein ehemaliger Lehrer für Deutsch und Geschichte - wirft seinem potenziellen Nachfolger - dem ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts und Universitätsprofessor Kirchhof - vor, er sei nicht ministrabel. In der ?Financial Times? monierte Eichel, dass der ehemalige Verfassungsrichter und ausgewiesene Steuerfachmann Kirchhof sich zu Fragen der europäischen und internationalen Finanzpolitik noch nie geäußert habe, ?von der Haushaltspolitik ganz zu schweigen?. Eichel prophezeit ?das Ende jeder seriösen Haushaltspolitik?.
Die kleinen Nachbarn machen es vor
Was haben Österreich und Rumänien gemeinsam? Sie haben in den vergangenen zwölf Monaten ihre Steuersätze für Unternehmen am deutlichsten gesenkt. Die Steuereinnahmen in Österreich sind in diesem Jahr um 700 Mill. Euro gestiegen. Und das verdankt Finanzminister Grasser vor allem höheren Einnahmen aus der Umsatzsteuer. Die Steuereinnahmen steigen also, trotz geringerer Sätze. So einfach ist das...
Fazit
Das eigentlich recht simple und sehr einleuchtende Modell eines deutlich sinkenden Spitzensteuersatzes, gepaart mit ansteigenden Steuereinnahmen des Staates, ist für viele nicht nachvollziehbar und unverständlich. Obwohl dieser Effekt in fast allen Staaten - die deutliche Senkungen des Spitzensteuersatzes vorgenommen haben - zu beobachten ist, können wir uns das in Deutschland nicht vorstellen. Frei nach Johann Wolfgang von Goethe: " Das ärgert die Weisen dieser Welt, alles Große ist einfach".