Unterschätzen Sie nicht dieses Risiko

Die Zinsentwicklung ist einer der wichtigsten Einflussfaktoren auf die weltweiten Aktienmärkte. Tiefe Renditen bei Anleihen sorgen für eine geringe Attraktivität dieser Anlageklasse, die relative Bewertung der Aktienmärkte wird dadurch jedoch günstiger. Für Immobilienkäufer gilt der umgekehrte Zusammenhang: Hypothekenkredite sind aktuell so zinsgünstig, wie dies nur sehr selten in den letzten Jahrzehnten der Fall war.

"Der von vielen gesehene Zinsanstieg wird ausbleiben, die Renditekurve wird steil bleiben"

In meiner im Januar erstellten Jahresprognose für 2004 schrieb ich: Die lang- und kurzfristigen Zinssätze werden nur wenig oder überhaupt nicht steigen. Die Mehrheit der Investmentbanken geht von moderat bis kräftig anziehenden kurz- und langfristigen Zinsen aus. Mehrere Leitzinserhöhungen der US-Notenbank Fed werden vorausgesagt. Doch immer, wenn sich der Marktkonsens so eindeutig auf eine Richtung festlegt, sind die dieser Ausrichtung vorhergehenden Käufe längst erfolgt und die entsprechenden Marktteilnehmer bereits positioniert. Unserer Anlagephilosophie entsprechend gibt es daher nur zwei mögliche Entwicklungen, die wir auf ihre Wahrscheinlichkeit überprüfen müssen. Die Zinssätze werden entweder a) sehr kräftig ansteigen b) sehr wenig oder überhaupt nicht steigen bzw. sogar fallen. Einen sehr großen Zinsanstieg sehen wir aus diversen Gründen nicht: - Die US-Notenbank wird im Wahljahr eher zurückhaltend agieren. - Die Inflationserwartungen sind übertrieben. - Wir sehen eine immer noch niedrige Kapazitätsauslastung. - Der Arbeitsmarkt bleibt weiterhin schwächlich. - Das Wirtschaftswachstum in den USA wird sich leicht abschwächen. - Die Notenbanken wollen den begonnenen Aufschwung nicht gefährden. Es ist wenig wahrscheinlich, dass sich in 2004 ein größerer Inflationsdruck entwickelt. Für 2005 sehen wir dies etwas kritischer. 2004 sollte jedoch ein Jahr werden, das relativ frei von inflationären Tendenzen bleiben wird. Die Zinsstrukturkurven werden relativ steil bleiben. Lediglich in Großbritannien hat sich diese bereits spürbar abgeflacht.

Aktuelle Situation

Die Renditen in den USA und in Europa notieren wieder nahe an ihren historischen Tiefständen. Anleger bekommen für ihr Geld in 10- jährigen US-Staatsanleihen 4,12%, in Deutschland sogar nur 4,04%. 30-jährige US-Anleihen rentieren mit 4,94%, die Bundesanleihe mit Laufzeit bis 2034 bringt lediglich 4,69%.

Die unterschätzte Gefahr von steigenden Zinsen

Besitzer von langfristigen Anleihen unterschätzen oft den ?Hebeleffekt? einer langen Restlaufzeit. Fallen die Zinsen, so steigen die Kurse der Anleihen - steigen jedoch die Zinsen, so fallen die Kurse der Anleihen. Nahe an historischen Zinstiefs ist die Wahrscheinlichkeit, in den nächsten Jahren tendenziell mit ansteigenden Zinsen konfrontiert zu werden, recht hoch. Sollten die Zinsen innerhalb der nächsten Jahre wieder steigen muss der Anleger bei einer vorzeitigen Veräußerung der Anleihe einen Kursverlust hinnehmen. Die Höhe dieses Kursverlustes hängt dabei von der Restlaufzeit und dem eingetretenen Zinsanstieg ab. Vor einer derartigen Situation werden vermutlich in einigen Jahren auch diejenigen Sparer stehen, die jetzt ihr Kapital langfristig in festverzinsliche Wertpapiere anlegen.

Ein Rechenbeispiel

Sie kaufen heute die Bundesanleihen mit Laufzeit bis 2014 (WKN 113525) und bis 2034 (WKN 113522) zum aktuellen Tageskurs von 101,68 bzw. 100,88. Es errechnen sich aus diesen Kursen bis zum Tag der Fälligkeit jährliche Renditen von 4,04% (113525) bzw. 4,69% (113522) bis zum Ende der Laufzeit. Doch die wenigsten Anleger halten diese Anleihen über einen so langen Zeitraum. Das Kursrisiko liegt jedoch in einem vorzeitigen Verkauf. Steigt zum Beispiel das allgemeine Zinsniveau am Markt lediglich bis auf den historischen Durchschnittszins zehnjähriger bzw. dreißigjähriger Anleihen von ca. 7%, so würden sich durch den gravierenden Zinsnachteil heftige Kursverluste beim Verkauf ergeben. Als Verkaufszeitpunkt nehmen wir das Jahr 2007 an. Die Restlaufzeit der beiden Anleihen betrüge dann sieben bzw. siebenundzwanzig Jahre. Es errechnen sich hieraus für die Besitzer der Anleihen Kursverluste von 17% bzw. 28%. Würden die nach der deutschen Wiedervereinigung gesehenen Renditen am Markt von ca. 10% erneut erreicht werden, so ergäbe dies Kursverluste bei einem Verkauf in 2007 von sogar 29% bzw. über 50%. Sie halten das für utopisch? 1982 rentierten die maßgeblichen 10-jährigen Staatsanleihen sogar mit bis zu 16% (!).

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Risikodefinition ist relativ

Das - im aktuellen Fall der Bundesrepublik Deutschland aus heutiger Sicht recht geringe - Risiko, dass der Emittent insolvent wird und die Anleihen nicht zurückzahlen kann, kann sich meine Generation nicht mehr vorstellen. Viele unserer Eltern oder Großeltern haben diesen Crash der Anleihen noch selbst erlebt. Geld und damit auch Anleihen wurden in Deutschland im Laufe der Währungsreformen 1923 bzw. 1948 quasi wertlos. Geldwerte sind also nicht zwangsweise werthaltig oder sicher, auch nicht durch staatliche Garantien! 1948 betrug das faktische Umstellungsverhältnis beim Buchgeld 100 zu 6,5 (!).

Beliebte Carry Trades

Der niedrige Zins verleitet Anleger aktuell immer noch zu so genannten Carry Trades. Dabei leihen sie sich kurzfristiges Geld und legen es zu höheren Zinsen langfristig an. Das verteuert sogar noch künstlich die lang laufenden Anleihen. Riskant wird die Anlagestrategie, wenn die Zinsen steigen. Die Kursverluste langfristiger Anleihen können die ohnehin schon mageren Zinserträge sehr schnell auffressen. Kein Kreditinstitut möchte gerne in diese Zange geraten. Deshalb haben viele Banken, Hedge-Fonds und andere Finanzmarktakteure in den vergangenen Wochen ihre weltweiten Carry Trades bereits deutlich reduziert.

Fazit

Fast alle Analysten haben ihre Vorhersagen für die Aktienmärkte in der Annahme eines moderaten bis kräftigen Zinsanstieges verfasst. Bleibt dieser Zinsanstieg, wie von uns erwartet, aus, führt dies zu einer deutlich attraktiveren relativen Bewertung der Aktienmärkte. Anleihen mit langer Restlaufzeit beinhalten - nahe am historischen Tief - ein erhebliches und oft unterschätztes Zinsrisiko. Die Formel "Raus aus Aktien - rein in Anleihen" wird wohl mittel- bis langfristig nicht funktionieren.

 

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