DAX-Einbruch durch Schröder-Rücktritt?

Die innenpolitische Lage in Deutschland gestaltet sich zunehmend verworrener. Pressekonferenzen im Stundentakt wechseln sich ab. Da wir viele Anfragen bezüglich unserer Einschätzung zu diesem Thema erhalten haben, möchten wir auf diesem Wege hierzu Stellung beziehen und die aktuelle Situation im Hinblick auf ihre Relevanz für die Kapitalmärkte hinterfragen. Grundsätzlich bitten wir zu beachten, dass wir keinen ideologischen oder parteipolitischen Grundsätzen folgen, sondern diese Entwicklungen lediglich auf ihren potentiellen Einfluss auf die Kapitalmärkte untersuchen.

Börse reagiert bisher gelassen

Der Machtverlust Schröders beeinflusst die Kurse bisher nur unwesentlich. Die Märkte sehen keine gravierenden Veränderungen. Der plötzliche Rücktritt Oskar Lafontaines von seinen Ämtern (1999) katapultierte den DAX binnen weniger Minuten um über 5% nach oben. Doch die Märkte reagieren bisher auf Gerhard Schröders Rücktritt als Parteivorsitzender der SPD verhalten und bewerten dies bisher noch als politischen Schachzug zur Stabilisierung der großen Regierungspartei ohne größere, unmittelbare Auswirkungen auf den wirtschaftspolitischen Reformkurs.

Reformtempo wird kaum gedrosselt

In vielen aktuellen Kommentaren liest man, dass Schröder an Macht verloren habe, er sei nun als Kanzler unter Müntefering angesiedelt. Hat der Bundeskanzler wirklich Einfluss verloren? Oder war die Entscheidung doch ein wohlüberlegter Schachzug? Es hat sich de facto kaum etwas verändert. Schröder kann jetzt das Tempo der weiteren Entwicklung vorgeben, ohne Rücksicht auf die Partei nehmen zu müssen (was er als Parteivorsitzender eher hätte tun müssen). Müntefering, der sich zwar recht spät für den Reformkurs ausgesprochen und sich selbst als "Spätzünder" bezeichnet hat, soll die Partei auf Kurs bringen. Er wird vor allem leichter die Parteilinke zufrieden stellen. Beide sind sich wohl einig, dass man nur so die Reformen weiter voranbringen und die SPD geschlossen halten kann. Schröder bietet nach seinem Rücktritt keine innerparteiliche Angriffsfläche für die Parteilinke mehr und kann dem nächsten Parteitag gelassener entgegen sehen. Doch das Misstrauen sitzt tief: Einer gestrigen Umfrage des Handelsblatts zufolge, sehen lediglich 10% der 1879 Befragten, Müntefering die SPD aus der Krise führen, während 67% eine sich ausweitende Regierungskrise erwarten.

Erkenntnis braucht Zeit

In diesem Jahr stehen wir vor einem regelrechten Wahlmarathon mit insgesamt 13 verschiedenen Wahlen. Die aktuellen Umfragewerte bescheinigen der SPD weiterhin ein dramatisches Nachkriegstief, die Union wird in fast allen Umfragen mit teilweise komfortablen absoluten Mehrheiten erwartet. Neuwahlen auf Bundesebene wird die SPD daher mit allen Mitteln zu vermeiden wissen. Die positiven Auswirkungen der begonnenen Reformen brauchen Zeit bis sie greifen, Zeit bis die Bevölkerung erkennt, dass man manchmal auch Unbequemes hinnehmen muss, wenn man langfristig wenigstens den Status Quo sichern will.

Erkenntnisproblem oder Umsetzungsproblem?

Viele Diskussionen beschäftigen sich mit der Frage ob denn Deutschland nun ein Erkenntnisproblem oder Umsetzungsproblem habe. Wir sehen schlichtweg beide Phänomene nebeneinander. Hinzu kommt ein Vermittlungsproblem der Regierung, die es immer wieder schafft, gute Ansätze durch vermeidbare Fehler im Keim zu ersticken. Während große Teile der Bevölkerung Reformen immer noch grundsätzlich als vermeidbare, persönliche Einschnitte sehen, wächst kontinuierlich die Erkenntnis, dass Reformen unabdingbar sind um den demographischen und strukturellen Veränderungen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten Rechnung zu tragen. Die Bürger wünschen sich nach einer Umfrage des ZDF-Politbarometers mit 73% Vereinfachungen und nur mit 22% weitere Steuererleichterungen. Die tief greifende Bürokratisierung wir offensichtlich als unser größter Standortnachteil empfunden.

Einfluss der Politik wird überschätzt

Grundsätzlich wird vielfach ein mehr oder minder großer Einfluss der Politik auf die Börsen herbeigeredet, der im historischen Vergleich nicht festzustellen ist. Direkte Einflüsse der Politik, wie sie etwa im Zuge der jüngsten ?Regierungskrise? zu beobachten waren, sind daher nur von kurzer Dauer. Politische Börsen haben in der Tat die ihr sprichwörtlich zugewiesenen "kurze Beine".

Deutschland überhaupt noch marktwirtschaftlich?

Wir haben vor wenigen Wochen eine Umfrage unter unseren Kunden und Kontakten außerhalb Deutschlands durchgeführt und dabei nach dem aktuellen Eindruck der deutschen Wirtschafts- und Sozialpolitik gefragt. Das Ergebnis hat uns doch nachdenklich gestimmt. Wir hatten das in dieser erstaunlichen Deutlichkeit nicht erwartet. Deutschland wird überwiegend als zunehmend sozialistisches Land gesehen, in dem der Staat sich mehr und mehr in die grundlegenden Belange seiner Bürger einmischt. In unserer sozialen Marktwirtschaft liegen die Schwerpunkte eher im sozialistischen denn im marktwirtschaftlichen Bereich. Viele Marktmechanismen sind durch staatliche Eingriffe bereits außer Kraft gesetzt. Vor allem am Arbeitsmarkt hat sich diese bedenkliche Entwicklung durchgesetzt.

Alternativen?

Trotz aller handwerklichen Fehler der letzten Jahre gibt es zum eingeschlagenen Reformkurs keine echte Alternative. Die Richtung stimmt. Wir gehen davon aus, dass eine sozialdemokratische Regierung diesen Reformprozess leichter vermitteln kann. Der breite Widerstand - vor allem der Gewerkschaften ? würde diesen notwendigen Kurs für eine unionsgeführte Bundesregierung extrem erschweren.

Fazit

Schröder und auch die SPD werden Kurs halten müssen, um nicht endgültig ihre Glaubwürdigkeit zu verspielen. Eine Abkehr vom Reformkurs würde in einem noch größeren Desaster für die Sozialdemokraten enden. Die Kapitalmärkte werden dies weiterhin aufmerksam, aber auch gelassen verfolgen. Lediglich eine Abkehr vom Reformkurs würde nachhaltigen Schaden anrichten. Und so lange die Regierung ein so negatives Image vor sich her trägt, so liegt der Überraschungsfaktor eher auf der positiven Seite.

 

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