Rückblick 2003 - Ausblick 2004

Das Börsenjahr 2003 wird als ein Jahr der überdurchschnittlichen Kurssteigerungen in die Geschichte eingehen, von denen jedoch nur noch wenige Anleger profitieren konnten. Viele Aktionäre und Aktienfondssparer haben sich von September 2002 bis im Frühjahr 2003 von den geballten negativen Nachrichten, Kriegsängsten, Weltuntergangs- und Verschwörungstheorien aus dem Markt drängen lassen und sind bisher noch nicht wieder investiert. Im Gegenteil, viele haben immer wieder strategische Short-Positionen aufgebaut und vertrauen darauf, dass die Märkte schon irgendwann wieder einbrechen werden. Viele dieser Bären bezeichnen sich trotzdem weiterhin als Antizykliker. Die Banken raten aktuell kaum zu Aktien oder Aktienfonds, sondern fast nur noch wenn überhaupt zu Garantieprodukten. Das traditionelle Sparbuch und Festgeldanlagen erlebten trotz Minizinsen in 2003 ihre Renaissance: Risikoaversion wird weiter großgeschrieben. Wir wurden für unsere klaren Aussagen immer wieder hart kritisiert und gehen davon aus, dass dies auch zukünftig so sein wird. Weitgehende Zustimmung würde uns eher irritieren, da es Kern unserer Prognosemethodik ist, den Marktkonsens von vorne herein auszuschließen. Denn letztendlich gibt es für strategische Anleger nur 4 Szenarien: Entweder geht es deutlich runter, wenig runter, wenig hoch oder deutlich hoch. Unsere Anlagestrategie basiert hauptsächlich darauf, diese "down-big-scenarios" zu erkennen und dann - aber auch nur dann - defensiv zu agieren. In den anderen drei beschriebenen Szenarien ist ein sehr hoher Investitionsgrad gegenüber unserer Benchmark MSCI-World die sinnvollste Strategie. Es erstaunt uns immer wieder, dass die Mehrheit der Anleger eher auf Mythen als auf bewiesene Zusammenhänge vertraut, anstatt die vermeintlichen Börsenregeln einmal kritisch zu hinterfragen, um herauszufinden, ob diese überhaupt werthaltig für Anlageentscheidungen sind. Wenn viele Marktbeobachter eine entsprechende Meinung vertreten, glaubt es die Masse der Anleger und fühlt sich in ihren Entscheidungen bestätigt: Ein fataler Mechanismus. Unsere Aufgabe als Vermögensverwalter wird es auch in 2004 sein, solche nutzlosen nur vermeintlichen - Zusammenhänge zu erkennen und diszipliniert zu handeln. In der nachfolgenden, 11-seitigen Studie haben wir die für uns maßgeblichsten Faktoren für die weitere Entwicklung zusammengefasst. Ich wünsche Ihnen ein friedliches, gesundes und erfolgreiches neues Jahr 2004. Thomas Grüner Am Ende des Textes finden Sie eine Auswahl weiterer Veröffentlichungen von uns zum Download.

2003 - das Jahr der großen Überraschungen

Das abgelaufene Börsenjahr 2003 hat wie von uns seit Oktober 2002 (buy low - sell high) mehrfach prognostiziert - überdurchschnittliche Erträge in den weltweiten Aktienmärkten gebracht, und wird trotzdem vielen Anlegern, die im Frühjahr entnervt das Handtuch warfen und ihre Bestände verkauften, in eher schlechter Erinnerung bleiben. Der für europäische Anleger schmerzlichste Bärenmarkt der Geschichte hat im März die europäischen Märkte nochmals deutlich unter Druck und auf neue Verlaufstiefs gebracht. Die US-Indizes bildeten Doppeltiefs aus. Studien von der großen Geldpanik in 2003 machten die Runde. Diese blieb jedoch bis heute aus. Im Gegenteil, die Aktienmärkte eilten von einem Jahreshoch zum Nächsten. Immer von skeptischen und teils hämischen Kommentaren der Pessimisten begleitet. Der folgende Absturz wird nun umso heftiger war oft zu hören. Das Handelsblatt titelte zu Jahresanfang am 16.01.2003 "Auch die Optimisten sehen hohe Risiken" und in der Halbjahresbilanz zum 01.07.2003 "Nach der Rallye wird die Luft nun dünner". Wir haben an unserer optimistischen Einschätzung und an der offensiven Anlagestrategie in unserer Vermögensverwaltung "Private Client Group" trotzdem diszipliniert festgehalten und wurden deshalb immer wieder heftig kritisiert, jedoch letztendlich mit überdurchschnittlichen Erträgen für unsere Kunden in 2003 belohnt. Wir können gut mit Kritik leben und dies einschätzen, denn allseitiges Schulterklopfen und breite Zustimmung würde uns eher skeptisch stimmen. Unsere Anlagestrategie basiert vor allem an von uns gesehenen, markanten Trendwenden auf einem antizyklischen Ansatz. Während Bullenmärkte immer in Euphorie sterben, enden Bärenmärkte immer in tiefer Depression, anschließende Kursgewinne sorgen immer lange Zeit für weitere Skepsis. Es dauert lange, bis die negativen Erfahrungen der meisten Marktteilnehmer emotional verdaut sind. Doch viel fataler ist die heute weit verbreitete Tendenz, immer weiter auf erneute Einbrüche zu warten und Weltuntergangs- und Krisenszenarien zu konstruieren. Seit den Märztiefs hat sich trotz markanter Kursgewinne in den Indizes - die negative Einstellung gegenüber Aktien in der großen Mehrheit der Bevölkerung kaum gewandelt. Viele sind weiterhin skeptisch und trauen den Kursgewinnen nicht.

The Great Humiliator

Unser amerikanischer Partner Kenneth L. Fisher beschreibt diese klassischen Vorgänge in seiner aktuellen Forbes-Kolumne: Der begonnene Bullenmarkt wird zumindest so lange Andauern, bis die bekannten Bären unter den Marktstrategen wie Merrill Lynch's Richard Bernstein; Yale's Robert Shiller und der berühmte Bondstratege von Pimco, Bill Gross ihre Meinung gezwungenermaßen ändern werden. Vor allem das Timing von Merrill Lynch ist beim Austausch ihrer Marktstrategen erstaunlich. Im Bullenmarkt der 90er Jahre wurde Permabär Charles Clough zerrieben, im Juni 2000 gefeuert und durch die Daueroptimistin Christine Callies ersetzt. In den folgenden zweieinhalb Jahren wurden fast alle namhaften, bullishen Strategen entweder von Ihren Jobs entbunden oder in der Wirtschaftspresse nur noch belächelt. Und Merrill Lynch tauschte 2002 Christine Callies durch Permabär Richard Bernstein aus. Erst wenn die Wirtschaftspresse die negativen Prognosen und Krisenszenarien der oben genannten Bären oder beispielsweise der amerikanischen Newsletter-Herausgeber Robert Prechter und Martin Weiss, oder in Europa Roland Leuschels andauernde Crash- Prognosen attackiert, dann wird es für den jungen Bullenmarkt gefährlich.

Prognosen der Investmentbanken

Die Prognosen der Investmentbanken aus den jeweiligen Handelsblatt-Umfragen für den DAX 30 und das EUR/USD-Verhältnis zwischen 2002 und 2004 haben wir in der nebenstehenden Grafik aufgelistet. Die Prognosen für den DAX in 2003 waren erstaunlich genau, in der Nachbetrachtung fällt jedoch auf, dass die optimistischen Schätzungen bereits im März 2003 deutlich revidiert wurden und selbst ein Überwinden der 3000er-Marke im DAX mehrheitlich nicht mehr für möglich gehalten wurde. Wenige Banken hielten ihren jahresanfänglichen Optimismus aufrecht, im März sorgten gerade die Panikverkäufe der Banken und Versicherungen für den nochmaligen, kurzfristigen Einbruch auf neue Tiefs im Verlauf des Bärenmarktes. Für den Euro werden - wie fast immer in den letzten Jahren - fast keine Veränderungen gesehen, um diese Prognosen dann im Jahresverlauf der Realität schrittweise anzupassen. Das Misstrauen gegenüber den Prognosen der Banken ist weiterhin sehr hoch, sie werden tendenziell in der Öffentlichkeit und in den Medien weiterhin skeptisch betrachtet.

Intermarket-Analysen als grandioser Fehlschlag

Trotz eines im Jahresverlauf deutlich nachgebenden US-Dollars sind die europäischen Börsen enorm angestiegen. Die Währungsentwicklung diente jedoch in den Medien oft zur Erklärung von Kursbewegungen an den jeweiligen Aktienmärkten. Während zu erwartende Währungsgewinne bzw. Verluste das Anlegerverhalten maßgeblich beeinflussen, wirkt sich die Gewinnsituation der Unternehmen in den unterschiedlichen Währungsräumen gegenteilig aus. Die Effekte heben sich in der Summe mittel- bis langfristig auf. Die Währungsentwicklung übt im langfristigen Vergleich nicht den ihr zugebilligten Einfluss auf die Aktienmärkte aus. Den gleichen Effekt sahen wir in den Rentenmärkten und beim Gold. Während des kompletten Jahres 2003 lasen wir immer wieder davon, dass Aktien nicht steigen können, weil Euro, Gold und Anleihen in den Kursen zulegen werden. Viele Kommentatoren begründeten gerade damit ihre negative Einstellung zu den Aktienmärkten. Eine klare Fehleinschätzung. Eine Korrelation, die es signifikant einfach nicht gibt. Die wesentlich signifikantere Korrelation besteht zwischen den weltweiten Aktienmärkten untereinander. Ein schwacher Dollar begünstigt US-Werte und damit auch indirekt die europäischen Aktienmärkte, während die europäischen Exportwerte realwirtschaftlich eher belastet werden. Ein Verhältnis ähnlich der unmöglichen Quadratur des Kreises. Die Märkte widerlegten diese Annahme zum Jahresende eindrucksvoll: Euro, Gold und die weltweiten Aktienmärkte beenden 2003 an ihren Jahreshöchstständen. Für europäische Anleger zur Belastung wurde zunehmend der schwache Dollar, der Kursgewinne in US-Werten schmälerte und beim viel gepriesenen Gold sogar zu einem währungsbedingten leichten Minus auf Jahressicht führte.

Die Welt bricht zusammen

Die Risikoaversion ist weiterhin sehr hoch, die von uns als Börsen-Unwörter des Jahres gesehenen notwendige Korrektur, Toppbildung, Restpotenzial und Bullenfalle lesen wir weiterhin zu häufig, um von einem nahen Ende des jungen Bullenmarktes sprechen zu können. Der langsamen aber kontinuierlichen Erholung der Wirtschaft in Westeuropa wird kaum Bedeutung zugemessen, aber den zukünftigen, möglichen Problemen. Lediglich Überraschungen bewegen die Märkte, aktuelle Themen und Diskussionen sind längst in den Kursen eingepreist. Das Unerwartete wird weiterhin eher das Positive sein. Die Gewerkschaften haben in diesem Jahr in Ostdeutschland eine geradezu historische Niederlage erlitten, doch das Signal wird ignoriert. Viele strukturelle Probleme der Wirtschaft sind in letzten Monaten teilweise gelöst oder überhaupt erst jetzt als solche erkannt worden. Die eingeschlagene Richtung stimmt. Viele werden dies jedoch klassischerweise erst erkennen, wenn diese positiven Entwicklungen längst bekannt, ausdiskutiert und eingepreist sind. They will only see it after the fact.

Die emotionale Falle - Ausnahmen werden zur Regel erklärt

Viele unerfahrene Anleger erliegen nach den hohen erlittenen Verlusten der Jahre 2000 bis 2002 einem fatalen Fehler: Die Ausnahmezeit der letzten drei Jahre - und viele Neubörsianer haben kaum eine längere Erfahrung - wird zur Regel erklärt. Viele ausnahmsweise geltende Zusammenhänge in diesem Zeitraum - so auch die Anti-Korrelation zwischen den Aktien- und Rentenmärkten - gelten als abgesichert, um eine zukünftige Entwicklung zu prognostizieren. Einzelne zufällig in diesen drei Jahren zutreffende Indikatoren gelten als treffsicher. Historische Vergleiche werden ignoriert und dies führt gleich zur nächsten fatalen Fehlentscheidung: Eine bearishe und übervorsichtige Grundhaltung hat sich bei vielen potentiellen Investoren festgesetzt. Positive Erfahrungen liegen zu lange zurück, um noch im emotionalen Gedächtnis zu sein. Man ist auf negative Meldungen, die das eigene und verfestigte Krisenszenario bestätigen, fokussiert und die vielen positiven Überraschungen werden ignoriert. Die meisten Fallen im Leben eines Investors werden ihm von seiner eigenen Psyche gestellt. Unsere Emotionen siegen fast immer über vernünftige und rationale Entscheidungen. Dies führt dazu, dass wir in Extremsituationen zu eklatanten Fehlentscheidungen verleitet werden. Der letztjährige Wirtschafts-Nobelpreis ging an zwei US-Amerikaner, Daniel Kahneman und Vernon L. Smith. Sie bekamen den Preis für eine Untersuchung, in der sie das Bild des stets streng rational abwägenden Wirtschaftsteilnehmers widerlegten. Ihre Grundthese lautete: Menschliches Verhalten widerspricht sehr oft strengen Rationalitätskriterien. Auch Investoren an der Börse verhalten sich so und folgen oft mentalen Faustregeln. Die Untersuchung erklärt uns wissenschaftlich die derzeitige Situation. Angst ist eine vorgreifende Emotion. Die Daten, die dafür herangezogen werden, holen wir uns vorwiegend aus Erfahrungen und Daten der Gegenwart und der jüngsten Vergangenheit. Vergessen ist ein exponentieller Prozess. Schon nach ca. sechs Monaten stehen uns vorherige Erfahrungen für unsere Entscheidungsfindung kaum noch zur Verfügung. Alles was einem als erstes oder auch zufällig passiert, halten wir für eine allgemeine Gesetzmäßigkeit. Wir werden von diesen Erfahrungen geprägt. Dies ist besonders fatal, da viele Anleger in Deutschland erstmals zur Boomphase im Frühjahr 2000 ihre ersten Aktienanlagen tätigten. Die bisher gemachten Erfahrungen mit Aktien sind durchweg negativ und werden von ihnen als allgemein gültig erfahren. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Phasen mit steigenden Kursen sind im Verhältnis von ca. 5:1 häufiger. Statistische Wahrscheinlichkeiten, die für rationales Handeln wesentlich sinnvoller wären, werden von psychologischen Aspekten, die für Anlageentscheidungen nahezu unbrauchbar sind, ersetzt.

Der Zusammenhang zwischen den Volatilitäten und Kursbewegungen

Der VIX (the basic S&P put and call based volatility index) sei aktuell so tief, der Markt überkauft und das Sentiment zu gut. Aktienkurse könnten daher nicht weiter steigen. Dieser Gedanke ist weit verbreitet, gleichermaßen unter Tradern, Privatanlegern und den Medien, die einfache Regeln lieben. Doch die Realität sieht anders aus: Der VIX signalisierte einzelne Kursgipfel oder Täler, andere jedoch nicht. Er signalisierte auch angeblich bevorstehende Bewegungen, die anschließend nicht stattfanden. In der genauen Überprüfung waren die Resultate in der Summe schwach - zu schwach. Der Korrelations-Koeffizient (correlation coefficient CC) zwischen dem VIX und dem S&P 500 beträgt 0,6. Auf den ersten Blick nicht so schlecht. Aber der CC gegen den S&P 500 nach einer Woche ist 0,03. Ein Wert, der für eine Prognose des Kursverlaufes der folgenden Woche nutzlos ist. Auf Monatssicht 0,12 - ebenso nutzlos. Drei Monate 0,01 - auf Jahressicht ebenfalls 0,01. In der Zweijahressicht sogar 0,12 - sogar schlechter als nichts. Es gibt also keine Korrelation zwischen dem VIX und dem S&P 500 in den untersuchten Zeiträumen. Der VIX als Timing-Tool ist unbrauchbar ganz simpel nutzlos. Trotzdem findet er weitläufige Beachtung. Mythos.

Isolierte Betrachtung einzelner Sentimentindikatoren

Die Sentiment-Indikatoren deuten auf einen angeblich überkauften Markt hin. Namentlich die von Investors Intelligence (Verfasser von Börsenbriefen) und der American Association of Individual Investors, AAII (deren monatliche Übersicht erfasst retail investors) seien zu positiv und damit ein Kontraindikator für die Aktienmärkte. Im Frühjahr 2000 zeigte Ken Fisher bereits im Financial Analysts Journal (Investor Sentiment and Stock Returns) mit Prof. Meir Statman, dass es auf keiner Zeitebene nutzbare Korrelationen zwischen den beiden Indikatoren gibt, die es ermöglichen würden, die nachfolgenden Kursbewegungen einzuschätzen. Doch die Anleger lernen nur langsam - ignorieren diesen Sachverhalt und nutzen die Indikatoren weiter.

Die Verschuldung in den USA ist zu hoch

Weit verbreitet ist ebenfalls das Argument der zu hohen Verschuldung in den USA. Was ist dran? Wir haben die Daten seit 1946 untersucht. Es gibt einige erwähnenswerte Fakten: Die gesamte öffentliche Verschuldung als ein Prozentsatz des GDP ist nicht höher als in den Sechziger Jahren. Sie ist nur unwesentlich höher als in den Siebziger Jahren und nicht höher als in den Achtziger Jahren. Die Zinsniveaus waren damals jedoch sogar höher. Das Haushaltsdefizit in Prozent zum GDP als nächster Punkt: Verglichen mit den Siebziger und Achtziger Jahren ergibt sich heute sogar ein geringerer Wert als damals. Wenn es damals kein Problem darstellte, warum nun? Und mit heute sogar tieferen Zinssätzen, warum sollten die Märkte dies nicht tolerieren können? Die private Verschuldung der Konsumenten hingegen ist tatsächlich etwas höher als damals, jedoch nur ein paar Prozentpunkte. Diese höhere Verschuldung ist jedoch bei den heute wesentlich tieferen Zinssätzen leicht zu schultern. Wenn die Märkte in den letzten 20 bzw. 30 Jahren gute Erträge abwarfen, warum sollten dann vergleichbare Schuldenstände bei eindeutig tieferem Zinsniveau ein Problem für die Aktienmärkte sein? Mythos.

Relative Bewertungen extrem günstig

Das wohl am weitesten verbreitete Argument, das nach Meinung vieler gegen einen neuen Bullenmarkt spricht, ist die angeblich zu hohe Bewertung des Marktes ein zu hohes Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Zum psychologischen Faktor, dass uns hohe Kennzahlen Angst machen und einen Rückgang erwarten lassen, kommen andere Faktoren hinzu. Das KGV ist immer nach wirtschaftlichen Schwächephasen am höchsten, da gewöhnlich die Gewinne in einer Rezession schneller als die Kurse fallen. Unsere statistischen Untersuchungen haben keinen signifikanten Zusammenhang ergeben, der es uns ermöglicht, anhand des KGV's Prognosen über die weitere Kursentwicklung zu erstellen. Phasen tiefer KGV's ergaben sogar häufiger negative Entwicklungen der Aktienmärkte in den Folgejahren. Doch es gilt wie so häufig: Mythologie dies hard. Ken Fisher schrieb über dieses Phänomen ausführlich 2000 im Journal of Portfolio Management mit dem Titel "Cognitive Errors in Market Forecasts". Die KGV's erreichten oft an Tiefpunkten der Aktienmärkte einen Hochpunkt, da erfahrungsgemäß viele einmalige Abschreibungen der Unternehmen die Gewinne stark einbrechen lassen. Korrekt berechnet waren die höchsten bisher erreichten KGV's 1920, 1932 und 1982, drei der fünf besten Kaufzeitpunkte in den letzten 100 Jahren. Für wesentlich aussage-kräftiger halten wir den Spread zwischen den erzielten Renditen der Unternehmen und den Anleiherenditen, der aktuell so hoch ist wie nur selten in den letzten 25 Jahren zuvor. Dieser Spread ist eine einfache grafische Darstellung der Risikoaversion der Anleger. Anfang 2000 hatten wir eine gegensätzliche Situation. Der Rest der Geschichte ist bekannt.

Haben Insider den besseren Durchblick

Ein weiterer Kritikpunkt der Bären ist das hohe Level an Insiderverkäufen. Auch hier haben wir uns die Zahlen genauer angesehen und müssen dem Marktkonsens und den Medien in ihrer negativen Einschätzung der Daten klar widersprechen. Das wöchentliche "insider selling / buying data" von Vickers (Vickers Weekly Insider Report) geht zurück bis 1971. Der historische Durchschnitt ist 2,0 zu 1, in anderen Worten, es gibt durchschnittlich immer zwei Mal so viel Insiderverkäufe als Insiderkäufe. Jedes Mal wenn das Verhältnis über 2 notierte, stieg der S&P 500 durchschnittlich in den nächsten drei Monaten um 1,4% und 65% aller Zeiträume brachten positive Erträge. In Perioden, in denen das Verhältnis 3,2 zu 1 betrug (die aktuelle Zahl), einmal mehr, drei Monate später notierte der S&P 500 1,4% höher und in 67% aller untersuchten Zeiträume. Das aktuelle Niveau an Insiderdaten ist ähnlich dem vom Herbst 1991, als der Markt seine Erholung nach dem Bärenmarkt von 1990 bis 1991 gestartet hat. Insider scheinen also gegenüber anderen Anlegern keine signifikanten Vorteile aus ihren Kenntnissen ziehen zu können. Dazu wird übersehen, dass während dem Einbruch der Aktienkurse von 2000-2002 nur ein Bruchteil der insgesamt von Insidern gehaltenen Aktienpakete veräußert wurde.

Börsengänge - IPO's

Eine Folge der immer noch sehr hohen Risikoaversion: Erstmals seit 1968 (!) gab es in Deutschland keinen einzigen Börsengang eines Unternehmens. Europaweit wagten immerhin 80 Kapitalgesellschaften den Schritt an die Börse, verglichen mit 622 Neuemissionen im Jahr 2000 jedoch immer noch eine spärliche Anzahl. Für 2004 stehen bereits die ersten Unternehmen in den Startlöchern. Mit T-Mobile, der Postbank und dem Generika-Produzenten Hexal stehen drei prominente Kandidaten auf Abruf. Die Risikoaversion trieb in 2003 seltsame Blüten und die Anleger trotz historisch niedrigen Renditen in die vermeintlich risikolosen Anleihen. Vor allem Wandelanleihen feierten in Deutschland 2003 ein Rekordjahr.

Kritik an der US-Administration - Regierung und Fed

Die eingeleiteten Maßnahmen der US-Regierung und der US-Notenbank, massive Steuersenkungen und historisch tiefe Zinsen, stießen in 2003 auf heftige Kritik und wurden bzw. werden großteils negativ für die weltweiten Aktienmärkte interpretiert. Doch das Vorgehen der amerikanischen Administration halten wir für relativ alternativlos und konsequent, wie wir dies in Europa - noch - weitgehend vermissen. Wir erwarten in den kommenden Jahren einen zunehmend ?amerikanischeren? Kurs der europäischen Regierungen und der EZB. Nobelpreisträger Milton Friedman, vormals einer der größten Kritiker der US-Notenbank Fed, bemerkte Anfang Dezember 2003 über seinen bisher größten Irrtum: ?Die abfälligen Bemerkungen, die ich 1988 über die Fed gemacht habe, treffen nicht mehr zu. Aber eigentlich ist das nicht mein Irrtum: Die Fed ist einfach besser geworden.?

Das Dilemma der Pensionsfonds ist positiv für die Märkte

Die massiven Defizite in den weltweiten, öffentlichen und privaten Pensionsfonds werden in diesem und in den nächsten Jahren eine der größten positiven Überraschungen für die Märkte darstellen. Für die Firmen bedeutet diese Entwicklung Folgendes: Die Lücken müssen gestopft werden, das kann Liquidität aus dem operativen Geschäft oder Eigenkapital binden oder aber die Verbindlichkeiten der Firma erhöhen. Die negativen Implikationen - namentlich die Belastung der Unternehmensgewinne ? sind jedoch längst bekannt und eingepreist. Die positive Implikation, die steigende Nachfrage an den Kapitalmärkten durch eben diese Geldspritzen der Pensionsfonds wird bisher übersehen. Die nötigen Zuweisungen zu den Pensionsfonds ? üblicherweise ein Durchschnittswert der letzten drei Jahre - werden in den nächsten Monaten und Jahren schätzungsweise 300 Milliarden US-Dollar betragen. Die genauen Zeitpunkte für diese Zuweisungen lassen sich nicht genau bestimmen. Sie werden jedoch kontinuierlich in die Kapitalmärkte fließen und diese weiter positiv beeinflussen.

Reformen und Steuersenkungen zeigen Wirkung

Die positive US-Konjunktur hat sich - allen Kritikern zum Trotz - bereits auf dem Arbeitsmarkt ausgewirkt. Ohne dieses Wachstum wäre die Arbeitslosenrate in den USA spürbar höher. Der volle Effekt der US-Steuersenkungen wird die Wirtschaft noch einige Jahre positiv beeinflussen, da die Wirkung auf die Konjunktur und vor allem die Investitionsbereitschaft der Industrie recht zeitverzögert einsetzt. Auch für Europa erwarten wir einen Trend hin zu - von der Öffentlichkeit noch eher unterschätzten - massiven Steuersenkungen und einschneidenden Reformen in den nächsten Jahren. Der sich auflösende Reformstau in der europäischen Steuer- und Arbeitsmarktpolitik dürfte sich als ein sehr positiver, langfristig wirksamer Faktor etablieren. Die EU-Osterweiterung in 2004 dürfte diesen Trend radikaler Reformen eher noch beschleunigen. Eine der größten mittel- und langfristigen Gefahren für diesen wichtigen und nötigen Reformprozess, sehen wir in einem - zu starken - europäischen Wirtschaftsaufschwung, der eine "Es-geht-doch-auch-ohne-Reformen-Mentalität" wieder in Gang setzen würde und die unbedingt notwendigen Reformprozesse unserer sozialen Sicherungssysteme, des Arbeitsmarktes und unseres viel zu komplizierten Steuerrechts gefährden würden.

Anleihen unterliegen klar gegenüber Aktien

Unser Rat für 2003 Aktien gegenüber Anleihen deutlich überzugewichten, hat sich als goldrichtig erwiesen. Während die weltweiten Zinsniveaus per Saldo auf der Stelle traten und Anleihenbesitzern nur dürftige Renditen in Kuponhöhe bescherten, hat der starke Euro europäischen Besitzern von US-Anleihen sogar deutliche Kursverluste beschert. Die durchschnittlichen Erträge in den Aktienmärkten betrugen ein Mehrfaches der Renditen in festverzinslichen Papieren. Für 2004 sollte sich auch dieser Trend fortsetzen.

Spreads bei den Anleihen schrumpfen deutlich

2004 wird für die weltweiten Anleihemärkte ebenfalls kein einfaches Jahr werden. Eine anziehende Weltkonjunktur und aufkommende Inflationssorgen werden die Rentenmärkte belasten. Die Risikoaufschläge (Spreads) von Unternehmensanleihen gegenüber Staatsanleihen sind deutlich zusammengeschmolzen und betragen nur noch durchschnittlich 0,9 Prozentpunkte. Selbst bei Junkbonds sind die Aufschläge im Jahresverlauf 2003 von 9,9 auf 3,8 Prozentpunkte geschrumpft. Die hohe Risikoaversion gegenüber Aktieninvestments und reichlich vorhandene Liquidität haben zu diesen Entwicklungen maßgeblich beigetragen.

Euro mit massiver Aufwertung in 2003

Einer der größten Überraschungen in 2003 war - neben den starken Gewinnen der Aktienmärkte - der extrem starke Wertzuwachs des Euros gegenüber dem US-Dollar. Während der Durchschnitt der Prognosen Anfang des Jahres lediglich von einem unveränderten Wechselkurs von 1,05 ausging, hat der Euro mehr als 20% gegenüber dem US-Dollar auf aktuell knapp über 1,26 zugelegt. Im Vergleich zur D-Mark hätte der US-Dollar nun einen Wechselkurs von 1,55 D-Mark. Der - entgegen allen Beteuerungen ? politisch gewollte, schwache US-Dollar hilft den USA zusehends beim Abbau Ihrer Defizite im Außenhandel. Der Großteil der Abwertung sollte mit der Bewegung von 0,84 auf 1,26 abgearbeitet sein. Die Kaufkraftparität spricht bereits für einen eher überbewerteten Euro. Die Risiken aus der EU-Osterweiterung und der offensichtlichen Aufweichung des Stabilitätspaktes werden vom Markt noch nicht hoch gewichtet. Dies könnte sich im Jahresverlauf 2004 ändern. Am 01. Mai 2004 wird die EU 25 Länder zählen und 450 Millionen Bürger umfassen. Zehn Beitrittsländer werden integriert. Bis dahin gilt jedoch: Der Aufwärtstrend beim Euro ist klar intakt. Wir würden daher als europäische Anleger US-Anlagen weiter eher leicht untergewichten. Eine massive Übergewichtung - wie von uns im Jahresverlauf geraten - würden wir jedoch nicht mehr vornehmen. Eine massive Untergewichtung in einem weltweit diversifizierten Portfolio würde die Risken im Vergleich zu unserer Benchmark MSCI-World-Index eher erhöhen.

Replay 1991

Die Geschichte wiederholt sich immer wieder. 1991 verwies der breite Konsens der Analysten auf die "zu gute" Performance der Aktienmärkte in den 80er Jahren und prognostizierte eine Phase unterdurchschnittlicher Kursteigerungen für die nächste Dekade an den Aktienmärkten. Sie lagen völlig daneben. Wir verzeichneten einen nahezu kontinuierlichen, lediglich durch die Asien- und Russland-Krise unterbrochenen Kursanstieg. Fast die gleichen Argumentationen und Diskussionen werden nun wieder geführt. Es wird erneut auf die Rallye der 90er Jahre und die geplatzte Blase am Aktienmarkt verwiesen. Die hohe Staatsverschuldung, die hohen Haushaltsdefizite, die Verschuldung der privaten Haushalte, der Zusammenbruch des Konsums und des Immobiliensektors wird auch heute gefürchtet. Ein neuer Bullenmarkt sei nicht in Sicht. Bestenfalls ein volatiler Seitwärtsmarkt wird vorhergesehen. Kenneth L. Fisher schrieb über dieses Phänomen in seiner Forbes-Kolumne vom August 1991 unter dem Titel "Dumb Bears". Seine Kolumne im August 2003 trug den Titel "Dumb Bears II".

Fazit

Unser Fazit im August 2003 lautete: "Nach über drei Jahren Baisse ist die Zeit vorbei, übervorsichtig zu sein. Während noch Ende 1999, Anfang 2000 alles in die Aktienmärkte strömte, haben nun Garantieprodukte Hochkonjunktur. Die große Mehrheit der von der Börsenkrise hart getroffenen Banken, Versicherungen und Anlageberater raten zu großer Vorsicht und einer defensiven Ausrichtung der Portfolios. Während positive Nachrichten weitgehend ausgeblendet werden, rufen schlechte Nachrichten jeweils wieder die große Skepsis hervor. Selbst wenn die nächsten Monate keine außerordentlich hohen Gewinne bringen sollten, gilt es nun auf die langfristigen Perspektiven zu schauen, die Alternativen zu betrachten und seine Investments anzupassen. Aktien sollten in den nächsten Jahren relativ zu Anleihen eine Outperformance zeigen. Das aktuelle Niveau halten wir weiterhin für mittel- und langfristig außerordentlich attraktiv. Alle von uns als maßgeblich eingestuften Faktoren entwickeln sich nach Plan. Sollten jedoch wider unserem Erwarten negative Faktoren im Jahresverlauf auftreten, die wir bisher nicht ausmachen konnten, so werden wir zu einer defensiveren Haltung zurückkehren. Dies halten wir jedoch nicht für wahrscheinlich. Immer wieder eingestreute Korrekturen sollten zum Aufstocken der Aktienquote genutzt werden." An dieser Situation hat sich bis heute kaum etwas Nachhaltiges verändert. Es ist immer wieder erstaunlich, dass die Mehrheit der Anleger eher auf Mythen als auf bewiesene Zusammenhänge vertraut, als zu lernen und die vermeintlichen Börsenregeln einmal kritisch zu hinterfragen, um herauszufinden, ob diese überhaupt werthaltig für Anlageentscheidungen sind. In unserer Gesellschaft ist es oft so, dass wenn viele Marktbeobachter dies so verkünden, es die Masse der Anleger glaubt. Unsere Aufgabe als Vermögensverwalter ist es auch, solche nutzlosen - nur vermeintlichen - Zusammenhänge zu erkennen. Der Bärenmarkt hat - geradezu klassisch - sein Ziel erreicht: Die Nerven vieler Pessimisten liegen blank. Im Oktober diesen Jahres war ich zu Gast bei einem Treffen eines lokalen Investmentclubs und vertrat dort mit den Argumenten aus meinen Studien vom August 2003 ("You have to be in it to win it"), September 2003 ("Mythologie dies hard and slowly") und Oktober 2003 ("Das Märchen vom Weltuntergang") meine bullishe Marktmeinung in einer kontroversen Diskussion gegenüber dem Initiator des "Börsenstammtisches", der den nahen Zusammenbruch der Märkte bereits seit langer Zeit in seiner Kolumne einer ortsansässigen Lokalzeitung vertrat. Einige Tage später teilte er mir in einem Telefonanruf mit, dass ich bei zukünftigen Treffen unter seiner Leitung nicht mehr willkommen sei. Die ewigen Bären unter den Anlegern und Marktbeobachtern können und wollen alle Argumente nur aus negativer Sicht interpretieren. Es ist wichtig diese Zusammenhänge zu durchschauen, die Mythen von den Fakten zu trennen und die eher positiven Dinge, die vor uns liegen zu erkennen. Wir erwarten auch für 2004 tendenziell anziehende Notierungen in den weltweiten Aktienmärkten. Aktien sollten auch in 2004 gegenüber Anleihen klar übergewichtet bleiben. Unsere detaillierte Jahresprognose werden wir gegen Mitte Januar - so bald uns alle für unsere Erhebung notwendigen Daten vorliegen - veröffentlichen. 

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