Das Märchen vom Weltuntergang
Es gibt zwei Ereignisse zu feiern. Die Geburt meines Sohnes Tim am vergangenen Montag und den einjährigen Geburtstag des neuen, weltweiten Bullenmarktes seit Oktober 2002. Die Studie können Sie als pdf-Dokument herunterladen.
Rückblick
Ziemlich genau vor einem Jahr erschien unsere Studie . Wir wiesen damals auf das - unserer Meinung nach - kurz bevorstehende Ende der großen Baisse seit Anfang 2000 hin und ernteten dafür viel Kritik und Unverständnis. Wir änderten damals unsere strategische Ausrichtung in der Vermögensverwaltung (The Private Client Group) für unsere Kunden von defensiv auf offensiv. Portfolios, die wir gegen eine "Equity-Benchmark" managen, sind nun seit einem Jahr voll investiert. Wir haben lediglich kleine Veränderungen in der Zusammensetzung vorgenommen. Unsere Kunden, aber auch Leser, die unserer Empfehlung gefolgt sind, freuen sich über signifikante Kursgewinne.
Was ist im vergangenen Jahr geschehen?
Der maßgebliche MSCI-World, der S&P 500 und der Nasdaq 100 stiegen seit Oktober 2002 kontinuierlich an, lediglich einige europäische Indizes unterschritten im März 2003 nochmals kurzfristig ihre Tiefs vom Oktober 2002. Der marktbreite S&P 500 hat seit dem Tiefpunkt im Oktober 2002 um 36% zugelegt, der Nasdaq 100 hat 78% hinzugewonnen und der DAX stieg um 42%. Big Moves. Marktteilnehmer, die diese Aufwärtsbewegung verpasst haben, sitzen nun auf großen Rückständen gegenüber ihren Benchmarks, die nur schwer aufzuholen sind.
Wie steht es um die aktuelle Situation?
Die öffentliche Wahrnehmung der wirtschaftlichen und markttechnischen Situation hat sich trotz der beachtlichen Kursanstiege, dem Ende des Irak-Krieges und einer sich stetig verbessernden Weltwirtschaft nicht wesentlich verändert. Der Schrecken des längsten und schwersten Bärenmarktes seit 1929 steckt vielen Anlegern noch in den Knochen. Wir sind weit davon entfernt, die allgemeine Stimmungslage als zu optimistisch zu bezeichnen. Viele Kommentatoren warnen - teils recht eindringlich und mit markigen Worten - unaufhörlich vor den großen Gefahren, dem Rückschlagpotenzial und malen ein düsteres Bild unserer Zukunft. Alle diese Skeptiker und Pessimisten haben eines gemeinsam: Die Argumente gehen ihnen aus und sie haben vom Kursanstieg nicht profitiert. Während 2003 - wie von uns vorhergesagt - ein überdurchschnittlich ertragreiches Aktienjahr zu werden scheint, sind die Aktien-Benchmarks den Skeptikern deutlich zweistellig davongelaufen. Fast alle potentiellen Gefahren haben wir in den Medien hinlänglich ausdiskutiert: Schwache Weltwirtschaft, hohe Verschuldung, hohe Staatsdefizite, kriegerische Auseinandersetzungen, Terroranschläge, Bilanzskandale, schwache Arbeitsmärkte, in der einen Woche Hyperinflation und anschließend wieder Deflation. In Europa verzeichnen wir zusätzlich ein großes Maß an Misstrauen gegenüber den amtierenden Regierungen, die aktuellen sozialen und wirtschaftlichen Probleme durch einschneidende Reformen lösen zu können. Der Überraschungsmoment dieser Gefahrenpotenziale ist nur sehr begrenzt vorhanden. Es wird hierbei die Grundregel der Kapitalmärkte missachtet: "The stock market is a discounter of all widely known information". Investoren, die auf eine Bestätigung der wirtschaftlichen Erholung durch harte Fakten warten, verpassen immer die erste, und meist auch stärkste Bewegung in einem neuen Bullenmarkt.
Viele Scheinzusammenhänge werden als maßgeblich betrachtet
In unseren beiden Studien vom August 2003 "You have to be in it to win it" und September 2003 "Mythologie dies hard and slowly" haben wir diese angeblichen Zusammenhänge bereits als - für eine sinnvolle Anlagestrategie - nicht zielführend und eher kontraproduktiv herausgestellt.
Equity Risk Premium
In den USA wird aktuell heftig über das zu erwartende Equity Risk Premium, der Risikoprämie der Aktienmärkte gegenüber "sicheren" Staatsanleihen, in den nächsten Jahren diskutiert. Viele Analysten halten ein nur geringes bis negatives Equity Risk Premium für wahrscheinlich. Doch was sagt das aus? Man begründet seine eigene Skepsis mit der eigenen Skepsis. Replay 1991! Die Kombination aus einem hinter uns liegenden historischen Crash an den Aktienmärkten und einem weit unter dem langfristigen Durchschnitt liegenden Zinsniveau lässt uns jedoch ein attraktives Equity Risk Premium für die nächsten Jahre erwarten. Von 1926-2002 betrug das ERP für den S&P 500 4,8%. Warum sollte dies in den nächsten Jahren deutlich geringer sein?
Insiderverkäufe
Die aktuellen Daten zu den Insiderverkäufen werden seit Monaten negativ interpretiert. Doch was zeigt uns die Bilanz der letzten Monate? Insiders know best? No! Bei fast allen Transaktionen wäre ein Verkauf zu den heutigen Kursen deutlich besser als zum tatsächlichen Verkaufszeitpunkt gewesen. Als jüngstes Beispiel ist die deutsche SAP zu nennen. Wenige Tage vor dem deutlichen Anziehen des Wertes wurden von Unternehmensinsidern größere Pakete abgegeben.
Vorsichtige Prognosen
Ein beliebtes Argument der Bären ist auch die aufgekommene Vorsicht bei den Prognosen zur zukünftigen Geschäftsentwicklung der Unternehmen. Dies wird überwiegend negativ bewertet. Unsinn! Wir halten dies für eine wenig überraschende Entwicklung. Zahllose Unternehmensvorstände, Investmentbanker, Journalisten und Analysten sehen sich diesseits und jenseits des Atlantiks mit staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen oder sogar bereits erfolgten Anklagen konfrontiert. Die Rechtsabteilungen raten daher verständlicherweise zu sehr vorsichtigen Aussagen, um nicht auch zukünftig wieder verdächtigt zu werden, Prognosen beschönigt zu haben.
Reformprozesse kommen in Gang
Der in Kürze beginnende und tiefgreifende Reformprozess in den europäischen Volkswirtschaften wird für langfristig hervorragendes Wachstumspotenzial sorgen, auch wenn das aktuell noch kaum von der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Alle weltweiten Notenbanken verfolgen auf absehbare Zeit eine expansive Geldpolitik und stimulieren zusätzlich die weltwirtschaftlichen Wachstumskräfte. Die Regierungen sorgen ebenfalls durch Steuererleichterungen für positive Impulse. Der in den letzten Jahren gesehene Negativeffekt einer seltenen, gemeinsamen Rezession der wichtigsten Volkswirtschaften könnte sich ins positive Gegenteil umkehren: Ein weltweiter Wirtschaftsaufschwung, der großes Überraschungspotenzial besitzen würde.
Größere Bärenmärkte - größere Erholungen
Der Bärenmarkt 1990-1991 dauerte (gemessen am MSCI-World) nur 267 Tage, der von 2000-2002 926. Der MSCI-World verlor von 1990 bis 1991 25,4%, von 2000 bis 2002 51,4%. Große Bärenmärkte wurden bisher in der Geschichte immer von zumindest größeren Gegenbewegungen, meist jedoch von neuen Bullenmärkten gefolgt. Warum soll das diesmal anders sein?
Jobless Recovery
Es wird in den Medien fast täglich von den Gefahren eines Aufschwungs ohne eine Belebung des Arbeitsmarktes gesprochen. Es ist zu diesem Zeitpunkt der wirtschaftlichen Erholung schlicht zu früh um dies fundiert beurteilen zu können. Die Weltwirtschaft steckt nach wie vor in einer Phase der Kosteneinsparungen, Arbeitsplätze werden tendenziell eher noch weiter abgebaut. Die Arbeitsmarktdaten sind ein typischer Spätindikator. Warum sollte diesmal die Arbeitslosenstatistik vor einer durchgreifenden wirtschaftlichen Erholung besser werden?
Sentiment zu bullish?
Viele Medienberichte bezeichnen das aktuelle Umfeld als schon wieder zu optimistisch. Die Märkte hätten kein Aufwärtspotenzial mehr. Dem müssen wir klar widersprechen. Wir beobachten weiterhin eine große Vorsicht in professionellen Prognosen und Risikoaversion. Der Nachhaltigkeit der Aufwärtsbewegung wird überwiegend misstraut. Es gibt ebenfalls eine signifikante Diskrepanz zwischen den Aussagen und dem tatsächlichen Verhalten der Marktteilnehmer. Selbst optimistische Anleger sind weiterhin überhaupt nicht oder noch unterinvestiert. In der letzten Woche hatte ich diesbezüglich ein interessantes Gespräch mit einem Investmentbanker. Seine Aussage: "Während wir hier versuchen unseren Kunden den Wiedereinstieg zu empfehlen, so haben wir selbst doch weiter die Hosen voll. Von Kundenseite werden hauptsächlich Garantieprodukte nachgefragt."
Fazit
Die negativen Börsenjahre 2000-2002 liegen hinter uns. Größere - mehr als korrektive - Rückgänge halten wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht für wahrscheinlich. Aktien sollten gegenüber Anleihen weiterhin klar übergewichtet bleiben. Wir sind und bleiben in unserer Private Client Group voll investiert. Es gilt in die Zukunft zu blicken und sich nicht durch die massiven, negativen Eindrücke der letzten drei Jahre in die emotionale Falle locken zu lassen, in der sich aktuell immer noch viele Marktbeobachter und Anleger befinden. Die Wall of Worry ist weiterhin vorhanden. Die Parallelen zu 1991 bleiben unverkennbar. Ob der neue Bullenmarkt uns zu neuen Hochs in den Indizes führen wird und ob 2004 ein weiteres überdurchschnittlich gutes Aktienjahr werden wird, lässt sich zum heutigen Zeitpunkt noch nicht abschätzen. Für den Rest des Jahres 2003 und die ersten Monate in 2004 bleibt eine weiter positive Entwicklung das wahrscheinlichste Szenario. Wir finden es erstaunlich, dass nach wie vor Zusammenhänge konstruiert werden, ohne nachzuprüfen, ob diese auch einem Backtesting standhalten. Menschen lernen nur langsam. Dass man Aktien nicht kaufen sollte, wenn fast alle dazu raten, scheint begriffen worden zu sein. Die Rückseite der Medaille ist noch verdeckt. Das Märchen vom Weltuntergang werde ich meinem Sohn sicher nicht vorlesen.